Die Filmfestspiele von Venedig spiegeln das aktuelle Spannungsfeld der Kunst wider: Zwischen leiser Reflexion und politischer Anklage bewegten sich die diesjährigen Hauptgewinner. Der US-Regisseur Jim Jarmusch erhielt den Goldenen Löwen für seinen Episodenfilm «Father Mother Sister Brother», während die Tunesierin Kaouther Ben Hania den Großen Preis der Jury für ihr Gaza-Dokudrama «The Voice of Hind Rajab» bekam.
Jury-Vorsitzender Alexander Payne begründete die Entscheidung emotional: «Das waren die beiden Filme, die uns am meisten bewegt haben. Es waren die beiden Filme, die uns, offen gesagt, zu Tränen gerührt haben.»
Jarmuschs poetische Familiengeschichte
«Father Mother Sister Brother» widmet sich in drei Episoden den komplexen Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern. Der formal durchdachte Film überzeugte die Jury mit subtilen Beobachtungen über Familiendynamiken und die oft herrschende Sprachlosigkeit.
Gesten, Blicke und Pausen verraten mehr über die Beziehungen als Worte. Zur Starbesetzung gehören Cate Blanchett, Tom Waits, Adam Driver, Charlotte Rampling und Vicky Krieps.
Blanchett lobte Jarmuschs Ansatz vor der Premiere: «Die Art und Weise, wie du die Dinge verstehst, hat eine ganz eigene Beseeltheit und Poesie. Wir versuchen immer, Dinge zu definieren und zu kategorisieren, während du all diese seltsamen Verbindungen zulässt, die nicht unbedingt den üblichen Sinn ergeben - wofür ich angesichts der Lage der Welt wirklich dankbar bin.»
Kontroverse um Gaza-Dokudrama
Ben Hanias «The Voice of Hind Rajab» erzählt von den letzten Momenten im Leben des palästinensischen Mädchens Hind Rajab im Gazastreifen. Das Kind starb im Januar 2024 bei der Flucht seiner Familie aus der Stadt Gaza.
Der teils dokumentarische, teils fiktionale Film legt nahe, dass Hind Rajab und Teile ihrer Familie von israelischen Streitkräften getötet wurden. Israels Militär bestreitet dies. Das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 als Auslöser des Gaza-Krieges spielt im Film keine Rolle.
Zentrales Element ist ein echter Audiomitschnitt: Das Mädchen telefonierte rund drei Stunden lang immer wieder mit Freiwilligen des Palästinensischen Roten Halbmonds und flehte um Hilfe, während es im bereits beschossenen Wagen zwischen getöteten Familienmitgliedern festsaß.
Emotionale Überwältigung im Kinosaal
Das Publikum hört im Film die echte Hind Rajab - verwirrt, verzweifelt und immer wieder um Hilfe flehend. Zwischendurch schallen Schüsse aus der rauschenden Aufnahme, bis Hind letztlich verstummt.
Der Film erschütterte viele Zuschauer nachhaltig: Einige weinten beim Verlassen des Kinosaals. Nach der Premiere erhielt das Werk die längsten stehenden Ovationen des Festivals, Menschen schwenkten palästinensische Flaggen.
Manche sprachen jedoch auch von Kalkül und emotionaler Geiselnahme - dem Gefühl, das halb dokumentarische Werk nicht nach filmkritischen Maßstäben bewerten zu können.
Politische Botschaften bei der Preisverleihung
Beide Hauptpreisträger trugen bei der Zeremonie Anstecker mit der Aufschrift «Enough» als Bezug auf den Gaza-Krieg. Ben Hania sagte in ihrer Rede: «Ich fordere ein Ende dieser unerträglichen Situation. Genug ist genug.»
Sie warf der israelischen Regierung vor, einen Völkermord zu begehen. Mehrere andere Filmschaffende, darunter Indya Moore aus Jarmuschs Film, argumentierten während des Festivals ähnlich. Den Genozid-Vorwurf weisen Israel und die deutsche Regierung zurück.
Den Regiepreis erhielt der jüdische Filmemacher Benny Safdie für «The Smashing Machine». Safdie erklärte: «Empathie ist heute wichtiger denn je. Ich denke, das ist etwas, worum wir uns alle bemühen sollten.»
Plädoyer für Empathie und Zwischentöne
Jarmusch betonte bei der Preisverleihung die verbindende Kraft der Kunst. Diese könne «Verbundenheit zwischen uns erzeugen, was tatsächlich der erste Schritt zur Lösung unserer Probleme ist», sagte der 72-Jährige.
Auf die Frage, ob sein Film in Israel gezeigt werden solle, antwortete Jarmusch differenziert. Nicht mit Geld der israelischen Regierung, aber: «Es gibt wunderbare Menschen in Israel, mit starkem Geist, die ich liebe. Ich mag es nicht, zu verallgemeinern.»
Diese Haltung der Zwischentöne prägt auch seinen Gewinnerfilm. Moore formulierte es treffend: Es gebe keine Helden und Antihelden in Jarmuschs Geschichten. «Es sind einfach nur Menschen.»
(dpa) Hinweis: Dieser Artikel wurde mithilfe von Künstlicher Intelligenz überarbeitet.