Im Kontrast zum Valentinstag am Tag zuvor kümmerte sich das Museum der Moderne des Städtischen Kulturzentrums in Allenstein (Olsztyn) am 15. Februar mit dem zweiten Exponat des Monats um die negativen Auswirkungen der Leidenschaft. Im Saal des früheren Trolleybus-Depots präsentierte Rafał Bętkowski vom Museum – begleitet von einigen Ausstellungsstücken wie Zeitungsausschnitten und Ansichtskarten – seine Forschungen zum Mord an einem preußischen Offizier an Weihnachten 1907.
Im Vergleich zu Zeitungsüberschriften wie „Allenstein-Affäre“ und „Der Weibsteufel von Allenstein“ mutet der Titel, den Rafał Bętkowski seinem Vortrag gegeben hatte, harmlos an. „Mit ‚Exponat der Gefühle – Zwei Männer, eine Frau, Liebe und Blut‘ – vor allem mit dem Blut – habe ich mehr Interessierte angelockt als gedacht, geben Sie es ruhig zu“, eröffnete er an das Publikum gewandt den Abend. Das verlegene Schmunzeln der über 160 Zuhörer und diese hohe Zahl als solche gaben ihm recht.
Aufräumen mit ungenauen Informationen
Neben der Information und Unterhaltung seiner Gäste hatte Rafał Bętkowski noch ein weiteres Ziel: „Ich wollte mit meinem Studium der Quellen mit ungenauen und falschen Informationen zu Namen, Ort, Daten und anderen Fakten aufräumen, die durch Reiseführer, Zeitungen und das Internet geistern“, stellte der Regionalhistoriker klar. [Anm. des Autors: Auch in meinem Text im „Wochenblatt.pl“ Nr. 12/2014 sind einige zu finden.] Das Publikum folgte ihm und dem für den Mord zuständigen Polizeikommissar Wannowski aus Berlin, den Jürgen Thorwald in seinem Buch „Stunde der Detektive“ von 1966 als ruhigen, wortkargen, aber scharfsinnigen Menschen schildert, in dem schon 1907 blühenden Dschungel aus Verdächtigungen, Verleumdungen und darunter verborgenen Fakten.
Denn – um die Hauptpersonen des Dramas vorzustellen – das Opfer ist der Major und Stabschef des 10. Dragonerregiments Franz August von Schoenebeck, der 1908 die Führung des Regiments übernehmen sollte, ein katholischer Offizier im protestantischen Preußen. Beim zweiten Mann und des Mordes Verdächtigen handelt es sich um den Führer der 3. Abteilung des 73. Regiments der Feldartillerie Hugo von Goeben, der Anfang des Jahrhunderts in Südafrika im Burenkrieg und später auf dem Balkan gekämpft hatte. Die Frau inmitten des Ereignisses ist Antoinette von Schoenebeck, die Ehefrau von Franz August, Tochter eines Abgeordneten zum Deutschen Reichstag und Enkelin eines österreichischen Ministers, die 17 Jahre jünger ist als ihr Mann. Anlass genug für die auch damals bereits existierende Sensationspresse, ihre Stifte zu schärfen.
Auf der Suche nach der Wahrheit
Kommissar Wannowski trifft, so Rafał Bętkowski, am 29. Dezember 1907 in Allenstein ein, als Major von Schoenebeck feierlich zu Grabe getragen wird. Ein Brief von Kapitän von Goeben wird abgefangen, Wohnungen werden durchsucht und von Goeben wegen des Mordes verhaftet. Am 30. Dezember folgt ein Lokaltermin am Tatort, am 31. Dezember wird auch Antoinette (Toni) von Schoenebeck festgenommen. Ihr wird Anstiftung und Beihilfe zum Mord vorgeworfen.
Geschehen war der Mord in der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember in den frühen Morgenstunden. Die Leiche von Major von Schoenebeck wurden von einem Burschen an der Schwelle zu seinem Zimmer gefunden, als er morgens Feuer machen wollte. Bei ihm wurde ein Dienstrevolver gefunden; daher wurde ein Eindringen durch ein schlecht gesichertes Seitenfenster vermutet, das er, der Major, wahrgenommen hatte, der Rest der Familie im Obergeschoss scheinbar jedoch nicht. Major von Schoenebeck starb an einer Kugel, die in seinen Schädel eingedrungen war; die Tatwaffe wurde jedoch nie gefunden. Diese Konstellation ist die Basis für die bis heute kursierende Geschichte eines „Duells ohne Zeugen“.
Tatort mit Tradition, Tat aus Leidenschaft
„Entgegen anders lautender Berichte geschah die Tat nicht nach dem Abendessen im Casino. Es war die Villa des Majors“, so Rafał Bętkowski. Bereits um 1800 gab es hinter der Burg in Allenstein auf der anderen Seite der Allee das Haus eines Justizamtmanns. An derselben Stelle entstand zuletzt die spätere Villa Schoenebeck mit Garten und Park. Nach dem Mord war die im ganzen Deutschen Reich als solche bekannte „Mordvilla“ günstig zu erwerben. Ernst Harich, der Herausgeber der „Allensteiner Zeitung“, kaufte sie und ließ sie umbauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie lange Zeit Offiziersklub der polnischen Armee. Es bürgerte sich der Name „Casablanca“ ein; das inzwischen hervorragend restaurierte Gebäude ist Sitz des gleichnamigen Restaurants.
Im Laufe der Ermittlungen von Kommissar Wannowski stellte sich heraus, dass bei der Tat viele Emotionen im Spiel waren. Der leidenschaftliche Jäger von Schoenebeck vernachlässigte seine junge Frau, die Eheleute waren entfremdet, die energische und lebenslustige Antoinette suchte sich Liebschaften. Dann traf sie auf Kapitän von Goeben, der sich in sie verliebte. „Wer jetzt Sex and Crime erwartet, wird enttäuscht. Laut Gutachten des Psychiaters hatte von Goeben seit seiner Versetzung nach Allenstein 1906 mit keiner Frau geschlafen. Die Beziehung zu Antoinette wird eher als sadomasochistisch mit ihr als Herrin bezeichnet“, zitierte Rafał Bętkowski aus der kriminalistischen Literatur zu dem Fall. „Dennoch: Sie hatten sich gefunden, und nur mit beiden zusammen konnte diese Gewalttat geschehen.“
Beide wurden im Januar 1908 ins psychiatrische Landeskrankenhaus Kortau (heute Olsztyn-Kortowo) eingewiesen. Hugo von Goeben schilderte offen die Geschehnisse aus seiner Sicht und nahm sich am 2. März das Leben. Sein Zeugnis wurde wegen früherer falscher Aussagen zu seiner Karriere und seines Zustands von den Verteidigern von Antoinette von Schoenebeck als unzuverlässig gewertet, der Prozess von 1910 gegen sie nach einem Selbstmordversuch eingestellt. Sie heiratete später einen Bankier mit Namen Weber und starb 1931 in Rapallo (Italien). Mit ihr endete die verworrene und bis heute fleißig Blüten treibende Dreiecksgeschichte, die Rafał Bętkowski für seine Zuhörer akribisch durchforstet und entwirrt hat.
Uwe Hahnkamp
Genauere Informationen zu Hergang, Hypothesen und Hintergründen der Tat hören Sie in den folgenden Wochen ab Anfang März in der Radiosendung „Allensteiner Welle“ bei Radio Olsztyn sonntags ab 20:05 Uhr auf der Internetseite „www.radioolsztyn.pl“ sowie im Internetradio „mittendrin.pl“ unter dem Link „Region“ montags um 11 und 21 Uhr.